Montag, 6. Dezember 2010
http://213.251.145.96/ oder: Das Internet in Zeiten des Terrors
Eine Bemerkung vorweg: Denjenigen, die Wikileaks für einen Spezialkitt zum Abdichten kaputter Rohre bzw. Autokühler halten, sei verraten, dass sie nicht ganz auf dem Laufenden sind. Und ihnen sei zudem geraten, ihre Morgenlektüre von Holzmedium auf Telepolis.de umzustellen – willkommen im 21. Jahrhundert. Wenn sie auf diese Weise die Updates und Patches des vergangenen Jahrzehnts nachgeholt haben, können sie gern hier weiterlesen. Die regelmäßigen LeserInnen meines kleinen, politisch nicht immer korrekten Tagebuches haben solcherart Frischzellentherapie natürlich nicht nötig ... also dann, ein Rätsel zum Einstieg:

Wie nennt man einen Krieg ohne vorherige Kriegserklärung? Ganz klar, Terror. Folglich ist das, was die USA (und einige ihrer Staats-Unternehmen sowie diverse willfährige Vasallenstaaten) derzeit gegen Wikileaks veranstalten, ... na, was? Richtig: Terror! Soviel zu den allseits beliebten Themen „Reich des Bösen“ und „Terrornetzwerk“. Wer wissen will, wo die Heimstatt weltweiten Terrors ist, der muss nicht nach bärtigen Muslimen mit Sprengstoffgürteln Ausschau halten, sondern wende seinen Blick gen Washington.

Zum Zwecke montäglichen Erkenntnisgewinns sei an Ursula von der Leyen erinnert. Bitte keine voreilige Freude, Zensursula lebt noch und versucht sich auch noch irgendwie als Ministerin; aber sie ist nicht mehr im Stoppschild-Geschäft („Zugangserschwerungsgesetz“). Falls sich also noch jemand an ihre Propaganda-Auftritte aus jener gar nicht so weit zurückliegenden Zeit erinnert, kennt er/sie sicher noch die Kernthese der blonden Streubombe: „Im Internet gibt es immer mehr böse Dinge, gegen die wir nichts tun können. Selbst wenn wir das ernsthaft wollten, denn die Server, auf denen diese bösen Dinge gespeichert werden, liegen im Ausland. Zum Beispiel in ... (Die seinerzeit benannten Länder lasse ich mal weg, denn es gab schon damals diplomatische Verwicklungen). Und darum sperren wir die bösen Dinge mit Stoppschildern ab.“ Wer das nicht glaubt, möge sich diesen kultigen Zensursula-Auftritt http://www.youtube.com/watch?v=PCt1DI5dBTI anschauen. Mir läuft an einigen Stellen immer wieder ein Schauer den Rücken hinunter und ich frage mich, ob Joseph Goebbels seinen Selbstmord nicht nur vorgetäuscht hatte und seither in Sulzbach wehrlose Senioren mit seinen Reden traktiert.

Aber zurück zum Terrornetzwerk USA. Im Umgang mit Wikileaks demonstriert Gottes eigenes Land derzeit, dass man gegen Inhalte im Netz durchaus etwas machen kann, sogar wenn diese sich im bösen, bösen Ausland befinden. Die Amis versuchen nämlich gar nicht, irgendwelche Stoppschilder nach Art des Hauses von der Leyen vor Wikileaks zu kleben, sie lassen statt dessen die Homeland Security von der Kette und machen Serverbetreibern und DNS-Diensten in ihrem Herrschaftsbereich deutlich, dass Wikileaks bitteschön als feindliche Macht zu behandeln ist. Und so verzichtet Amazon auf die Einnahmen aus dem Servergeschäft und Paypal auf die Provisionen aus der Spendenweiterleitung an Wikileaks, weil Uncle Sam (oder Obama) es so verlangt.
Und warum? Weil es bei Wikileaks nicht um so nebensächlichen Pillepallekram wie Pädophilie, Bombenbauanleitungen oder Holocaust-Leugnung geht, sondern um richtig wichtige Sachen. Weil hier die internationale Kaste der Politiker plötzlich angreifbar gemacht wird, weil ihnen ein selbst ernannter Robin Hood des Cyberspace die Immunität genommen und sie bloßgestellt hat. In all ihrer Abgehobenheit und Erbärmlichkeit. Und weil all die Sarkozys, Merkels, Putins, Berlusconis und Obamas dieser Welt eine ganz erbärmliche Angst davor haben, dass sich das wiederholen könnte. Darum führen sie einen nicht erklärten Krieg gegen eine Internetplattform. Oder tun das demnächst (Gelle, Äänschie?), auch wenn sie es nicht zugeben werden – es sei denn, die Erben Julian Assanges http://de.wikipedia.org/wiki/Julian_Assange werden es öffentlich machen. Er selbst wird dazu leider kaum noch Gelegenheit haben, denn sein Unfalltod (oder Herzinfarkt) ist längst in Auftrag gegeben.

Nachsatz: Interessant finde ich die Causa Wikileaks unter dem Aspekt des Streisand-Effektes http://de.wikipedia.org/wiki/Streisand-Effekt . Bisher waren es immer nur beleidigte Stars, dämliche Firmenmanager oder auch gekränkte Politiker wie Andrea Ypsilanti, die versucht haben, unliebsame Informationen aus dem Netz zu tilgen – und damit deren virale Vermehrung in Gang gesetzt haben. Genau dieser Streisand-Effekt ist durch den Terroranschlag gegen Wikileaks ausgelöst worden. Wenn auch www.wikileaks.org vom US-amerikanischen Cyberwar zerbombt wurde, so ist die Plattform unter ihrer IP-Adresse http://213.251.145.96/ nach wie vor erreichbar. Ach was, nicht nur unter dieser, denn mittlerweile wird Wikileaks auf zahlreichen Servern rund um den Globus gespiegelt und das Internet macht das, als was es seinerzeit (übrigens von den Amis) konzipiert wurde: Es bleibt trotz massiver Zerstörungen funktionsfähig.

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